Offene Biefe

OFFENE BRIEFE

NABU Kehl/ Markus Kauber/  19. Oktober 2020


Darum sollten Teile des Waldes sich selbst zu überlassen werden


Markus Kauber, zweiter Vorsitzender des Nabu Kehl-Hanauerland, plädiert dafür, Teiles des kommunalen Waldes aus der Bewirtschaftung herauzunehmen.


Markus Kauber vom Nabu Kehl-Hanauerland erläutert, warum es nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen sinnvoll wäre, Teile des Waldes sich selbst zu überlassen.


Die Stadt und die Ortsteile müssen aktuell über die Ergebnisse der zehnjährigen Forsteinrichtung entscheiden, die in den vergangenen Monaten stattgefunden hat. Die Forsteinrichtung ist eine Art Inventur des Waldes: Ein staatlich beauftragter Forsteinrichter ermittelt, wie viele und welche Baumarten im Wald stehen, wie sie genutzt werden, wie hoch der Grad an Biodiversität ist oder ob neue Bäume durch Naturverjüngung oder Pflanzung wachsen. Darauf aufbauend findet die Planung für die nächsten zehn Jahre statt: Welche Baumarten werden in welchen Mengen eingeschlagen? Wo sind Schutzgebiete sinnvoll? Wie viel Geld können die Gemeinden vom Verkauf des Holzes erwarten? Der Gemeinderat entscheidet über Maßnahmen und Ziele. Neudeutsch spricht man vom „Management“ des Waldes.

Mit der höheren Gewichtung des Naturschutzes entbrennt aber zunehmend Streit um die Waldnutzung. Während für die einen ein Wald „aufgeräumt“ sein muss, sollte er für die anderen möglichst naturbelassen bleiben. Das eine steht für die wirtschaftliche Nutzung, das andere für die freie Entfaltung des Ökosystems Wald. Ein klarer Zielkonflikt – und wohin die Reise geht, entscheidet der Gemeinderat.

Die Situation im Wald hat sich grundlegend verändert. Wirtschaftlich positive Ergebnisse können Gemeinden nur mit gesunden Wäldern erzielen. Was aber heißt gesund? Die Folgeschäden des Klimawandels sind deutlich sichtbar: Ein Mosaik aus grünen und braunen Baumkronen bereits im Frühsommer, durch Trockenstress geschwächte Bäume, die sich schlechter gegen Bakterien, Pilze und Schadinsekten wehren können. Langfristig stirbt der Baum ab oder wird bereits vorher als Sturmschaden in die Statistik aufgenommen.


Dazu kommt eine zunehmende Zerschneidung der Landschaft. Straßen, Gewerbegebiete und Siedlungen machen es Tieren immer schwerer, von einem Gebiet in ein anderes zu gelangen. Die Durchmischung der Populationen ist gefährdet – und damit die genetische Vielfalt. Im Hinblick auf den Klimawandel sind zwei Funktionen des Waldes, die bisher außer Acht gelassen wurden, besonders wichtig: die Beeinflussung des Mikroklimas durch regionale Absenkung der Durchschnittstemperaturen und Wasserspeicherung im Boden und die dauerhafte Bindung des Klimagases CO2 im Holz.


Ein Wald kann nur dann stabil und gesund sein, wenn er nicht als Monokultur aufgebaut ist, sondern aus einem großen Spektrum klimaangepasster Baumarten besteht. In einem naturbelassenen Wald ohne Bewirtschaftung kann man plötzlich Dinge beobachten, die man bestenfalls aus Naturdokumentationen im Fernsehen kennt: Pilze, die in den unglaublichsten Formen auf Totholz gedeihen, Vögel und Fledermäuse, die Nachmieter von Spechten werden, Gewässer und Tümpel, die als Tränke für Tiere dienen oder als Kinderstube unterschiedlichster Amphibien.Leider tendiert unsere Gesellschaft dazu, alles „im Griff“ haben zu wollen. Ist ein Wald „krank“, so muss er durch das richtige „Management“ gerettet werden. Was viele dabei vergessen: Dieses Management kostet Geld.

Geld, das dem Gewinn aus der Waldbewirtschaftung gegenübergestellt werden muss – in Zeiten, in denen es immer schwieriger wird, über Jahrzehnte vorauszuplanen. Ein Baum braucht nun mal mindestens ein halbes Menschenleben, bis er „erntereif“ ist: Angesichts des Klimawandels ein Lotteriespiel.


Daher würde es durchaus Sinn machen, Waldflächen aus der Bewirtschaftung herauszunehmen. Manche Posten werden heute kaum berücksichtigt. Wie viel ist die Erholungsfunktion des Waldes wert? Wie viel seine Kapazität, CO2 zu speichern? Wenn unsere Emissionen ab kommendem Jahr etwa 25 Euro pro Tonne kosten werden und über die Jahre wie geplant teurer werden, bekommt diese Frage plötzlich eine ganz andere Dimension. Auf jeden Fall wäre das ein Gewinn für die Biodiversität in unseren Wäldern und würde uns erlauben, zu beobachten, wie sich die Natur ohne unser Eingreifen an den Klimawandel anpasst.Seit Menschengedenken lernt der Mensch von der Natur und war damit erfolgreich. In den Fällen, in denen er meinte, gegen die Natur handeln zu müssen, ging es meistens in die Hose.


Naturlandstiftung Baden/ Marco Lasch/ 09.2020


Offener Brief an die politische Verantwortlichen der Stadt Kehl vom 09.2020

Entdecken die Kehler die Natur?

Hat Covid-19 dazu geführt, dass Fridays for Future bei den Menschen vor Ort angekommen ist?

 

Sehr geehrte Damen und Herren.

Seit etwa fünf Monaten stellen wir -die Naturlandstiftung- erfreut fest, dass immer mehr Menschen zu Fuß oder mit dem Fahrrad unsere Natur vor Ort erkunden.

 

Was zieht die Menschen in den Wald?

Bei den Begegnungen in Wald und Feld versuchten wir zu ergründen, was die Menschen in die Natur führt. Es waren in den meisten Fällen Kontakt Beschränkungen aufgrund des Covid-19 und ein Mangel an Alternativen. Gerade für Familien war die Radtour im Wald oft eine der wenigen Lockdown-konformen Freizeitbeschäftigungen welche kostengünstig und unproblematisch die Möglichkeit bot, einen Ausflug direkt von Zuhause aus machen zu können und sich den eigenen vier Wänden wenigstens zeitweise zu entziehen.

Was den Wald für die meisten Waldbesucher als Naherholungsort ausmacht, sind die Ruhe, die Nähe zum Wohnort, der wenige Verkehr und der nicht erforderliche Planungsaufwand. Der Wald besticht durch seine Schönheit und scheinbar unberührte Natur. Gerade an heißen Sommertagen macht sich bemerkbar, dass es sich unter einem grünen Blätterdach doch gleich viel besser aushalten lässt. 

 

Waldbewirtschaftung und Naturschutz im Wald

Unser Anliegen besteht nicht nur darin, den Charakter des Waldes als Erholungsraum zu erhalten, sondern auch seine Funktion als Lebensgrundlage eines ganzen Ökosystems. Konkret bedeutet dies, auf Teilflächen des Waldes auf eine Nutzung zu verzichten und den Wald seiner eigenen, natürlichen Entwicklung zu überlassen. Dazu ist es notwendig, dass die politisch Verantwortlichen der Stadt Kehl die Art der Waldbewirtschaftung überdenken und entsprechend anpassen.

Naturschutz sollte nicht nur im Feld, sondern auch im Wald genügend Platz haben.

 

Wir Naturschützer sehen uns nicht selten mit Vorwürfen konfrontiert, dass unsere Forderungen nicht immer den Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren. Doch unsere Begegnungen mit den Naturbesuchern in Wald und Feld zeigen, dass mittlerweile viele unserer Ansichten geteilt werden. Dazu haben wir die Leute konkret auf unsere Bedenken bei der Waldnutzung angesprochen. Auf die Frage, wie die derzeitige Waldbewirtschaftung eingeschätzt wird, kam zwar meist keine entschiedene Antwort, doch vielen Waldbesuchern waren die großen Holzmengen entlang der Wege und die vielen Rückegassen aufgefallen. Sie wunderten sich, ob denn ein so hoher Holzeinschlag notwendig und nachhaltig ist. Tatsächlich wird in letzter Zeit viel Holz eingeschlagen, was aber durch das Eschentriebsterben zur Gewährleistung der Verkehrs- und Arbeitssicherheit im Wald notwendig ist. Grundsätzlich schadet das dem Wald auf lange Sicht nicht. Allerdings zeigen uns diese Rückmeldungen, dass die Menschen heute wesentlich stärker für Aspekte der Nachhaltigkeit und des Naturschutzes sensibilisiert sind. Die Ansprüche der Bürger haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt, was unserer Einschätzung nach Raum für mehr Naturschutz im Wald bietet. 

 

Der Stellenwert der Naturbildung im Naturschutz

Wir als Naturlandstiftung Baden empfinden Naturbildungsmaßnahmen im Naturschutz als zentrale Aufgabe, um zu informieren und etwas in der Natur bewirken zu können.

Zurzeit können wir unsere Informationsaufgabe leider nur eingeschränkt wahrnehmen. So mussten wir aufgrund von Covid-19 bereits seit März sämtliche Naturbildungsmaßnahmen auf unbestimmte Zeit aussetzen. Auch öffentliche Einrichtungen und andere Naturbildungsstellen, bspw. der Stadt Kehl, trifft dieser Umstand schwer. Das hat uns dazu bewegt, auf diesem Weg mit einem kurzen Erfahrungsbericht in der Zeitung als offenen Brief zu informieren. Bei unseren Begegnungen im Wald stellten wir fest, dass kaum etwas über die von der Stadt initiierte Projektgruppe „Forsteinrichtung“ bekannt war. Dabei geht es unter anderem um die mögliche Ausweisung von Waldrefugien, also mehreren kleinen Parzellen, in denen der Wald sich selbst überlassen wird und somit seiner natürlichen Entwicklung folgt. Bisher ist der Anteil an solchen „stillgelegten“ Flächen im Kehler Wald verschwindend gering. Ein Austausch der Bewohner (Tiere wie Pflanzen) zwischen den einzelnen Parzellen ist somit quasi unmöglich, weshalb die Biodiversität immens leidet. Die meisten angesprochenen Personen waren überrascht und zugleich erfreut, dass sich so etwas bei ihnen vor Ort entwickeln könnte. Sie würden einen Ausgleich zwischen Schonung und Nutzung des Waldes begrüßen.

Deshalb unser -und sicher auch im Namen von Umweltverbänden- dringender Appell an die politisch Verantwortlichen: “bildet so viele Waldrefugien wie möglich. Unsere Nachfahren werden mit Stolz auf euch zurückblicken, wenn sie in der Zukunft den natürlich gewachsenen, artenreichen Wald genießen können. Fridays for future - auch im Wald”.


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